Brustkrebsrisiko
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau – die Erkrankung betrifft ca. jede 10. Frau bezogen auf die ganze Lebensspanne, die Häufigkeit ist altersabhängig, mit 65 Jahren ist das Risiko am höchsten. So ist das Thema „Brustkrebs“ auch im Zusammenhang mit der Menopause (Zeitspanne, in der der Hormonspiegel sinkt, da die Eierstockfunktion erlischt) ein wichtiges Thema. Die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, ist umso höher, je länger die Frau mit einem Auf und Ab der eigenen Hormone (Östradiol und Progesteron) lebt, d.h. höheres Risiko bei früher Menarche (erste Menstruationsblutung) und bei später Menopause (letzte Menstruationsblutung, die durch körpereigene Hormone ausgelöst wird). Daran ist erkennbar, dass es eine Abhängigkeit des Risikos von Hormonen gibt. Da Hormone jedoch sicher keinen Brustkrebs erzeugen, möglicherweise sogar davor schützen können, muss es noch viele andere Risikofaktoren geben, wobei auch Hormone direkt oder indirekt eine Rolle spielen können. Zum Beispiel ist das Brustkrebsrisiko umso niedriger, je mehr Kinder eine Frau ausgetragen hat und je länger sie stillt, d.h. jede Schwangerschaft (in der sogar große Mengen von Hormonen gebildet werden!) reduziert das Brustkrebsrisiko. Der Einfluss von Hormonen ist somit sehr komplex und bei weitem noch nicht in allen Fragen geklärt.
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Bezüglich bekannter Risikofaktoren gibt es 1) solche, die man nicht beeinflussen kann, 2) und solche, die man klar reduzieren kann und auch sollte, sowie auch 3) solche, die man beeinflussen könnte, wo aber verschiedene Kriterien eine Rolle spielen, z.B. die Anwendung von Hormonen zur Schwangerschaftsverhütung oder zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden.
Veränderungen in bestimmten Genen (BRCA1, BRCA2 u. a.) sind nicht beeinflussbar und erhöhen das Brustkrebsrisiko. Nicht beeinflussbar ist auch die Situation einer familiären Vorbelastung: Wenn Mutter, Schwester oder Tochter Brustkrebs gehabt haben, ist das eigene Brustkrebsrisiko erhöht. Das Brustkrebsrisiko wird stark erhöht durch Übergewicht, Rauchen, übermäßigen Alkoholkonsum, mangelnde Bewegung und Stress, möglicherweise auch durch falsche Ernährung (zu fettreich, viele Süßigkeiten), also durch Faktoren, die sich, wenn man es nur will, korrigieren lassen. Bestimmte Schadstoffe unserer Umwelt erhöhen das Risiko, dass Brustkrebszellen entstehen – auch dies könn(t)en wir beeinflussen.
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Die Entscheidung für Hormonbehandlungen, wie im jungen Alter mit hormonaler Verhütung (z.B. mit „Pille“) und in und nach den Wechseljahren durch die „Hormonersatztherapie“, unterliegt dagegen komplexeren Kriterien. Während die Vermeidung von Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen, übermäßigem Alkoholkonsum ein klares Ziel sein sollte, müssen für Hormonbehandlung nicht nur Risken, sondern auch ein potentieller Nutzen abgewogen werden. Zum einen ist die mögliche Risikoerhöhung durch Hormone wesentlich geringer als z.B. bei Übergewicht (Adipositas). Zum anderen ist der mögliche Nutzen von Hormonbehandlungen in der Entscheidung zu berücksichtigen, wie z. B. Verhinderung einer Schwangerschaft bei Verhütung durch Hormone, Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden mit „Hormonersatztherapie“ und als Zusatznutzen Reduktion von Erkrankungen wie Osteoporose, Herz/Kreislauf-Erkrankungen, Dickdarmkrebs, Alzheimer Erkrankung.
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Die Entscheidung für Hormonbehandlungen sollte demnach immer individuell mit dem behandelnden Arzt erfolgen. Sie/Er wird auch weiter darüber aufklären, welche Art der Hormontherapie im einzelnen Fall optimal ist. Diese erfolgt meist als Kombination von einem Östrogen und einem Gelbkörperhormon (Gestagen). Wie man heute weiss, ist das Brustkrebsrisiko vor allem durch das Gestagen bedingt, das andererseits benötigt wird, um eine Überstimulation der Gebärmutterschleimhaut zu vermeiden. Entsprechend kann man Frauen ohne Gebärmutter (operativ aus verschiedenen Gründen entfernt) nur mit Östrogen behandeln. Für diese Frauen hat die größte Studie zur Hormontherapie (die sog. Women’s Health Initiative (WHI) Studie) gezeigt, dass das Risiko für Brustkrebs sogar vermindert wird im Vergleich zu Frauen, die mit Plazebotabletten behandelt wurden. Offensichtlich haben Östrogene nicht nur „Krebszellen-fördernde“, sondern auch „Krebs-schützende“ Wirkungen. Diskutiert wird u. a. ein schnelleres Absterben von Krebszellen („Apoptose“), falls Östrogene wirken können, d.h. ob die Zellen Rezeptoren für Östrogene besitzen. In diesem Fall zeigen die Östrogene "duale" Wirkungen, d.h. sie können die Proliferation der Zellen (Wachstum durch Verdopplung der Zellen) stimulieren, oder auch die Zellen vernichten. Solche "duale" Effekte sind auch von anderen Hormonen oder Überträgerstoffe im Organismus bekannt. Sie dienen dazu, dass einseitig überschießende Wirkungen verhindert werden, wie z.B. auch negative "feed-back" Mechanismen in endokrinologischen Regelkreisen. Das Risiko für die Entstehung eines Brustkrebses unter Hormonen ist somit letztlich davon abhängig, ob die stimulierenden Wirkungen oder die protektiven Mechanismen im Einzelfall stärker sind.
Zu den protektiven Mechanismen zählen auch Wirkungen des Immunsystems, das durch gesunde Lebensweise (Ernährung, Bewegung, Stressabbau….) gestärkt wird. Die Stärkung des Immunsystems kann nämlich dazu führen, dass sogenannte "Radikale", die vor allem durch Umweltfaktoren (wie Umweltverschmutzung, Rauch u.ä.) gebildet werden können, die Entwicklung von Brustkrebs fördern können. Diese Radikale können durch ein gesundes Immunsystem abgefangen werden. Daher ist die Stärkung des Immunsystem durch gesunde ausgewogene Ernährung, Vermeidung zu hoher Stressbelastung, regelmäßige (aber adäquate) körperliche Aktivität vermutlich die wichtigste Maßnahme, um allgemein vor der Entwicklung von Karzinomen zu schützen. Die Forschung zum Zusammenhang zwischen Brustkrebsrisiko und Hormonen zeigt, dass Östrogene das Immunsystem verstärken können, zum Beispiel indem durch Östrogene solche Radikale abgefangen werden können, bevor sie DNA-Strukturen zerstören, was die Entwicklung von Krebs fördern würde.
Andererseits können Hormone, wie vor allem bei Kombination von Östrogenen mit synthetischen Gelbköperhormonen, die Proliferation von Zellen, d.h. Stimulierung andauernder Verdopplung der Zellen, fördern, und damit auch die Proliferation von Krebszellen, falls diese, aus welchen Gründen auch immer gebildet worden sind (z.B. durch schädliche Strahlung in der Athmosphäre). Nach klinischen Studien erscheint das Risiko bei Verwendung der natürlichen Hormone des Eierstockes, also Östradiol und Progesteron, geringer, da die Proliferation, wenn überhaupt, langsamer erfolgt. Dies ist zur Zeit ein sehr aktuelles Thema, und man hofft, daß dies weitere Studien bestätigen. Dann wäre die klare Forderung, vor allem das natürliche Gestagen "Progesteron" in der Hormonersatztherapie zu verwenden, was viele Ärzte/Ärztinnen heute schon auf der Basis von bereits vorhandenen (allerdings nur wenigen) Studien empfehlen.
Die Hormone selbst verursachen aber nicht die Entstehung von Krebszellen, was fälschlicherweise häufiger berichtet wird. Die Proliferation von schon vorhandenen Krebszellen, angeregt durch Abreichung von Hormonen, muss auch über Jahre erfolgen, bis daraus klinisch ein "Krebs" entsteht, mindestens 10, eher 15 Jahre beginnend mit der Verdopplung der ersten Krebszelle. Da aber eine Proliferation von vorhandenen Krebszellen durch die Anwendung von Östrogenen und Gelbkörperhormonen (Gestagenen) nicht ausgeschlossen werden kann, sollen Hormone nur so lange verwendet werden, wie sie indiziert sind, also um Wechseljahre oder urogenitale Beschwerden zu behandeln bzw. einer Osteoporose oder Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Es wird empfohlen, nach ca. fünf Jahre einen Auslassversuch zu unternehmen, d.h. die Hormone abzusetzen, um zu erkennen, ob wieder Beschwerden erfolgen. Dabei soll das Absetzen "schleichend" erfolgen, d.h. nicht abrupt, sondern durch schrittweise Reduktion der Dosis und/oder Verlängerung der Applikationsintervalle, stets unter Anleitung durch einen Arzt. Ein plötzliches Absetzen von Hormone kann nämlich dazu führen, dass eventuell vorhandene arterielle Plaques (vor allem bei Risiko für Herz/Kreislauf-Erkrankungen) durch die abrupte Veränderung der Gefäßtonusfunktion destabilisiert werden, im Blutkreislauf ins Gehirn geflutet werden und dort einen Hirninsult verursachen. Bei hohem Risiko für eine Osteoporose sollte allgemein eher nicht abgesetzt werden, sondern die positive Wirkung der Hormone überprüft werden, z.B. alle 2-3 Jahre durch eine Knochendichtemessung.
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Sicherlich ist die Verabreichung eines Hormonpräparates bei einer Frau, bei der Brustkrebs diagnostiziert wurde, nicht angezeigt, vor allem falls Rezeptoren vorliegen, über die Hormone stimulierend angreifen können. Auch bei sorgfältigster und frühzeitiger Therapie eines Brustkrebses kann man nicht ausschliessen, dass noch Brustkrebszellen existieren, die im Falle von vorhandenen Rezeptoren für Hormone stimuliert werden können und dass die genannten schützenden Effekte durch die Östrogene selbst oder durch andere Faktoren (z.B. immunologisch-schützende Faktoren) nicht ausreichen, um die Proliferation bis zur Entwicklung eines klinisch sichtbaren Krebses zu vermeiden. In dieser Situation – also der Behandlung nach Brustkrebs – wird man eher versuchen, Produktion und Wirkung von Hormonen durch bestimmte Medikamente oder auch durch Entfernung der Eierstöcke zu stoppen. Zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden können dann bestimmte nicht-hormonale Präparate und spezielle (aber nicht alle) pflanzliche Präparate verordnet werden. Diese zeigen allerdings alle eine geringere Effektivität als Östrogene und haben nicht den Zusatznutzen der Östrogene wie Prävention einer Osteoporose, von Herz/Kreislauf-Erkrankungen, von Dickdarm-Krebs, der Alzheimer Erkrankung u.a..
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Somit ist die frühzeitige Erkennung einer Brustkrebserkrankung von größter Bedeutung. Die Teilnahme an einer Brustkrebs-Früherkennung wird in Deutschland als Kassenleistung für alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren angeboten. Diese Teilnahme sollte gleichermaßen bei Behandlung mit Hormonen oder bei Verzicht auf Hormonbehandlungen erfolgen. Frauen, die eine Mammographie in Erwägung ziehen, sollten über die Teilnahme anhand einer individuellen Risikoeinschätzung entscheiden und die Risiken und den Nutzen der Mammographie auf ihre persönlichen Vorlieben abstimmen. Früherkennungsmaßnahmen schützen aber nicht vor dem Ausbruch der Krankheit. Sie verfolgen das Ziel, einen Brustkrebs früher zu entdecken und zu behandeln.
Zuletzt aktualisiert am 08.12.2024
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Prof. Dr. med. Dipl.Chem. Dr. rer. nat. Alfred O. Mueck (MD. PharmD. PhD)
Universitätsklinikum Tübingen, Department für Frauengesundheit, Frauenklinik und Forschungsinstitut für Frauengesundheit
und
Capital Medical University, Beijing OB/GYN Hospital, WHO-Center China,
Honorary Director
